Der unbefangene Menschenfreund konnte in diesen Monaten zu Leipzig zwei schmerzliche Betrachtungen nicht von sich abhalten: Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Klügsten können irren. - Da die Sache, um welche es sich handelt, am besten von der heiteren Seite betrachtet wird, so möge hier eine unbefangene Erzählung folgen.

 

Im Juli 1855 erschien zu Leipzig ein geheimnißvoller Grieche, der sich Konstantin Simonides nannte, aus England kam und eine Anzahl seltener Handschriften zu besitzen vorgab. Derselbe brachte den Ruf mit, kein zuverlässiger Mann zu sein; er hatte schon in England durch Verkauf von Handschriften gewagte Geschäfte zu machen gesucht, war in Oxford übel angekommen, hatte aber an das britische Museum allerdings einige seiner Schätze veräußert. Wie er in den Besitz derselben gelangt war, blieb dunkel. Mißtrauische Gemüther hatten darüber Vermuthungen, doch glaubte man nicht, daß er sich alle seine Handschriften und Pergamentblätter von außen her angeeignet, sondern daß er Mehres selbst verfertigt habe.
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Er machte auch in Leipzig einige Geschäfte. Er verkaufte an die Universitätsbibliothek drei Papierblätter aus einer griechischen Handschrift vom Berge Athos und 31 Blätter einer Abschrift, die er selbst aus derselben Handschrift vom Athos gemacht haben wollte. Diese Blätter enthielten große Bruchstücke eines altchristlichen Werkes, "der Hirte des Hermas", welches bis dahin nur aus einer alten lateinischen Uebersetzung und den Fragmenten der Kirchenväter bekannt gewesen war. Nach diesen drei Originalblättern und der Abschrift des Simonides wurde der griechische Text von Anger und Dindorf in Leipzig herausgegeben. Die Echtheit der drei Manuscriptblätter, welche aus einer Handschrift ausgeschnitten sind, scheint unzweifelhaft; ob die Abschrift des Simonides wirklich nach einem griechischen Manuscript hergestellt, oder in der behenden Art des Simonides durch seine eigenen Erfindungen vervollständigt, oder gar eine von ihm verfertigte Rückübersetzung der schon bekannten lateinischen Bearbeitung ins Griechische ist, ist noch auszumachen.

Darauf brachte Simonides ein anderes Manuscript hervor, 72 Blätter einer ägyptischen Königsgeschichte des Alexandriners Uranios. Die Handschrift war ein Palimpsest, d. h. eine Handschrift, auf welcher die usprüngliche Schrift von spätern Abschreiber weggearbeitet und das Pergament von Neuem beschrieben worden war. Die zweite Hand des Manuscriptes hatte in den Zügen des 11. oder 12. Jahrhunderts aufgezeichnet, was für uns geringe Wichtigkeit hat, die bleichen Züge der ersten Hand enthielten in Unicialen des 5. Jahrhunderts drei Bücher ägyptischer Königsgeschichten des Uranios, von den ältesten Zeiten bis auf Ptolemäus Lagi. Die Schrift der zweiten Hand war unzweifelhaft echt, der Inhalt der ersten wurde vom Professor W. Dindorf in Leipzig trotz dringender äußerer Verdachtsgründe ebenfalls für echt gehalten und das Manuscript dem Simonides für zweitausend Thaler abgekauft, wie anzunehmen ist, unter den nöthigen Rechtsverwahrungen.

Professor Dindorf, nicht nur in der gelehrten Welt als Philolog und Herausgeber alter Schriftsteller, sondern auch an der Börse Leipzigs als unternehmender Geschäftsmann bekannt, legte das Manuscript der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vor und bot es um den Preis von fünftausend Thalern zum Verkauf an. Er mußte einige tausend Thaler mehr fordern, als er selbst dem Simonides gezahlt hatte, weil er den Ueberschuß dazu benutzen wollte, diesen Simonides und seine Manuscripte gründlich zu durchschauen, zu überwinden, kurz, mit ihm fertig zu werden - er selbst hat in seiner Darstellung der ganzen Begebenheit (Leipziger Alltemeine Zeitung 1856, Nr. 31) diese uneigennützigen Beweggründe sorgfältig auseinandergesetzt. Die Akademie der Wissenschaften nun ließ durch eine Anzahl ihrer Mitglieder die Handschrift vielseitig untersuchen. Zwei große Namen zerlegten die Sache chemisch, ein großer Name mikroskopisch, mehre sehr große Gelerhte kritisch und das Schlußergebniß war - sie sind unsere Väter; wer es wagen wollte, auch nur den Schatten ihres Turbans zu verunreinigen, der würde durch uns zu einem Kapf auf Leben und Tod herausgefordert werden - aber was wahr ist, muß gesagt werden, das gelehrte Berlin hatte eine schwache Stunde, die Fälschung war sehr geschickt gemacht, die Akademie erklärte die Handschrift für echt und beschloß den Ankauf zu befürworten.
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Zu dem Ankauf war eine außerordentliche Geldbewilligung durch Se. Majestät den König nöthig und diese nicht im Augenblick zu erlangen und doch erklärte der Verkäufer, daß er das Manuscript oder eine Anzahlung von etwa 2500 Thalern nach Leipzig zurücknehmen müsse. In dieser Verlegenheit schoß Professor Lepsius von der Akademie aus eigenen Mitteln die Summe von 2500 Thalern vor, Professor Dindorf reiste damit zurück. Lepsius, der unter den kritischen Prüfern der Akademie gewesen war und ein besonderes Interesse an dem Manuscript hatte, weil er selbst dasselbe herauszugeben gedachte, darf wohl entschuldigt werden, daß er einige Zeit an die Echtheit der Handschrift glaubte und dafür sprach, denn die alte Königsgeschichte der Aegypter ist sein eigenstes Fach und wer in diese dunklen Studien vertieft ist, bei dem sind  zur Zeit noch ganz andere Irrthümer und Rechnungsfehler erklärlich. Als er nun aber die Handschrift in ruhigem Besitze hatte und außerdem Gerüchte und Zweifel von mehren Seiten an sein Ohr drangen, ging er nochmals an eine sorgfältige Prüfung des schwer zu lesenden Inhalts, den die erste Hand geschrieben. Und da fiel ihm mehres Bedenkliche auf. Unter anderm war eine abenteuerliche Muthmaßung, welche vor einigen Jahren Bunsen in seinem Werke "Aegyptens Stellung in der Weltgeschichte" zur Ergänzung einer Lücke in unserem ägyptischen Wissen gemacht hatte, wörtlich von dem alten Griechen Uranios in seine Geschichte aufgenommen worden. Es ist aber ungewöhnlich, daß jemand das Buch eines Andern ausschreibt, der erst 2000 Jahre nach ihm mit Tinte und Feder umgegangen ist. Dazu kamen noch andere innere Anzeichen der Unechtheit.

Der so entstandene Verdacht erhielt von Leipzig aus Bestätigung. Dort hatte Professor Tischendorf in collegialem Eifer gegen Professor Dindorf schon seit längerer Zeit die Unechtheit der Manuscripte des Simonides behauptet, hatte aber bei Dindorf kein Gehör und keinen Glauben gefunden. Als ein Herr, der auch seine wissenschaftlichen Verdienste und zahlreiche hohe Anerkennungen derselben aufzuweisen hat, mußte Professor Tischendorf über solche auffallende Ungläubigkeit mit Recht unzufrieden sein. Endlich erhielt er von einem zu Leipzig lebenden Griechen, Alexander Lykurgos, Briefe des Simonides, die dieser von London aus geschrieben, aus denen ihm die Fälschung mit Sicherheit erweislich schien. Gleich darauf erfuhr er, daß sein College Dindorf der Akademie die Handschrift verkauft und der König das Geld bereits angewiesen habe. Sogleich telegraphirte er nach Berlin an die "maßgebende Stelle", die Handschrift sei unecht, und sandte seine Beweise ein.

Eine dunkle Wolke zog jetzt vor das Gestirn des Simonides. Am letzten Januar erschien Professor Lepsius mit dem bekannten Stieber, dem Führer der Berliner Schatten, in Leipzig. Das Polizeiamt Leipzigs wurde durch die Angaben des Professors Lepsius bewogen, eine Haussuchung bei Simonides vornehmen zu lassen. Man fand den Griechen selbst reisefertig, im Begriff Leipzig zu verlassen, fand bei ihm die 2000 Thaler, welche er von Professor Dindorf erhalten, und allerlei Fälschungsmittel, verschiedene chemische Tinten u. s. w., auch das erwähnte Buch von Bunsen, die Stelle roth angestrichen. Der Entlarvte wurde in Verwahrung genommen. Der Traum von Uranios war zerronnen und die Verzeichnisse der ägyptischen Königsdynastien und die übelklingenden Namen ihrer Könige und Vettern - Namen, welche bis jetzt den Hauptinhalt der alten ägyptischen Geschichte bilden - werden noch fernerhin seinen Conjecturen und willkürlichen Annahmen, dem ernsten Forschersinn und der Windbeutelei unserer Gelehrten überreiche Nahrung geben.

Simonides selbst war durch die preußische Polizei im ersten Amtseifer von Leipzig nach Berlin geführt worden, aber die Berliner Gerichte hatten nicht gegen ihn verfahren können, denn er hatte in Preußen kein Verbrechen begangen, und als er frei gelassen wurde und nach Leipzig zurückkehrte, fand sich hier wieder kein Kläger gegen ihn. So reist der fleißige Mann nach freundlichen Andeutungen der Leipziger Polizeibehörde ab. Und gern hätten wir alle den ärgerlichen Vorfall vergessen, aber das Wohlwollen, welches dem Simonides deutsche Gelehrte von Ruf erwiesen hatten, und noch mehr der Schutz, welcher einem Beargwöhnten in Deutschland aus der Vielköpfigkeit unserer Regierungen erwächst, machten den Griechen so dreist, daß er seinerseits von München aus zum Angriff überging und in einer kleinen Schrfit "über die Echtheit des Uranios" sein Opfer und seinen Verfolger, den Professor Lepsius, sowie seine Leipziger Feinde gröblich angriff. Wenn noch in irgend einem deutschen Gemüth ein Rest von Hoffnung lebte, daß uns der alte Grieche Uranios in jenem Palimpsest erhalten, und Simonides nicht Verkäufer einer gefälschten Handschrift sei, so wird diese Hoffnung durch die Selbstvertheidigung des Simonides auf's Grundlichste vernichtet. Denn er erscheint darin als ein so dreister und unmäßiger Lügner im allergrößten Stil, daß man billig über den Umfang seiner Erfindungskraft erstaunen darf. Nachdem er unter dem Schutz des Wahlspruchs: "Verstehest du den Geist mit Kraft und Muth zu paaren, getrost, dann hilft auch Gott dein gutes Recht dir wahren", und nach Bezugnahme auf einen Brief, den er an den König von Preußen geschrieben, seine Unbescholtennezti gerühmt hat, beginnt er seine Vertheidigung durch wörtliche Anführungen aus griechischen Werken, die uns nicht erhalten sind, die er aber zu kennen und in Palimpsesten zu besitzen versichert. Daraus erzählt er eine Lebensgeschichte des Uranios und geht seinen Gegnern "als ein nur von der superfeinen Gelahrtheit Verkannter" zu  Leibe, er schimpft, er droht, er nimmt für sich gürndlichere Kenntnisse im Aegyptischen in Anspruch, als Professor Leipsius besitze, und verheißt zuletzt gar die Herausgabe einer neuen Zeitschrift über Hieroglyphenkunde und Paläographie. Er täuscht sich nicht, wenn er annimmt, daß diese mit großem Interesse gelesen werden wird, wenigstens wird unsere Entdeckungspolizei wahrscheinlich dem Verzeichniß der Mitarbeiter im Interesse unserer Kassenanweisungen Antheil schenken. Damit aber nichts fehle, den erfindungsreichen Griechen bedeutend zu machen, erfreut er die gelehrte Welt durch die gelegentliche Mittheilung, daß er, der sich selbst ironisch den famosen Fälscher nennt, noch 2500, von seinem Onkel Benedictus erblich erhaltene Handschriften besitze, aber er halte sie wohlversteckt. Stil und Haltung dieser und vieler anderen Stellen zeigen dieselbe Größe des Charakters, welche etwa Lips Tullian oder ein anderes namhaftes Opfer der juristischen Vorurtheile seiner Zeitgenossen gehabt haben kann. Und selbst damit nicht genug, er erzählt auch die Schicksale dieser Handschriften seit der Römerzeit. Man darf wohl sagen, seine Lügen sind so groß und unverschämt, daß Falstaffs sieben steifleinene Männer dagegen nichts als "vorwitzige Mücken" sind.

Es ist doch bedenklich, daß eine Gaunerei, welche den eigenen Vortheil dadurch sucht, daß sie Lüge und Unwahrheit in das Reich der Wissenschaft einschwärzt, ungestraft bleibt. Und sehr demüthigend ist der Gedanke, daß solch ein kläglicher Gesell ernste Gelehrte zu täuschen vermochte.

 

Aus den Grenzboten 1856, Nr. 7

Entnommen: Gesammelte Werke, Band 16, Seite 379 - 385, 2. Auflage; Leipzig, Hirzel 1897

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