Politische Aufsätze - Vorwort

Die Aufsätze dieses und des folgenden Bandes wurden - wenige ausgenommen - in den Jahren 1848 - 1874 geschrieben und zuerst in den Zeitschriften "Die Grenzboten" und "Im Neuen Reich" gedruckt. Sie stehen hier, um von der fünfundzwanzigjährigen Beteiligung des Verfassers an den politischen und literarischen Zeitfragen Rechenschaft zu geben.
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Die Auswahl unter einer Menge von Artikeln, welche für den Tag geschrieben waren, hat besonders in dem politischen Teil Nachsicht zu erbitten. Es mag für den Leser reizlos sein, die Stimmungen einer vergangenen Zeit, welche durch das seitdem Gewordene längst überholt und vielleicht widerlegt sind, in das Gedächtnis zurückzurufen; auch der Herausgeber entgeht schwer der Versuchung, durch die Auswahl sich selbst als gescheit und weitsichtig vorzustellen. Ich habe versucht die Flottille der kleinen Kanonenböte zwischen diesen Klippen hindurchzusteuern, indem ich mir zwar einigemal die Freiheit nahm, ungeschickte und persönlich verletzende Stellen von dieser Ausgabe fern zu halten, mich aber wenigstens enthielt, irgend welche verschönende Zusätze zu machen. Für den, welcher sich die Mühe geben wollte, den frühern Druck mit diesem zu vergleichen, ist Jahr und Stelle des ersten Abdrucks den Aufsätzen beigefügt.

Bei der Auswahl der politischen Artikel ist so verfahren, daß dieselben in drei Gruppen zusammengefaßt sind, von denen die erste das Jahr 1848 und die nächste Folgezeit begreift, die zweite Einzelnes aus der Zeit des bangen Harrens bis zur Gründung des Norddeutschen Bundesstaates, die dritte endlich den Krieg von 1870 und die Schöpfung des Deutschen Reiches.

Als ich im Jahr 1848 die Redaktion der „Grenzboten“ übernahm, welche bis dahin vorzugsweise ein österreichisches Blatt gewesen waren, fiel mir für meinen Teil neben dem, was ich als Preuße zu sagen hatte, auch die Besprechung der österreichischen Verhältnisse zu. Ich habe deshalb nicht vermieden, hier eine Anzahl Aufsätze abzudrucken, welche damals für Arbeiten eines Österreichers gelten mußten. Durch mehre Jahre habe ich eifrig über Leben und Interessen des Kaiserstaates geschrieben, in dem ich nicht heimisch war. Vielleicht bewirkte gerade dieser Umstand, daß ich damals - es ist lange her - die Aufsätze über Österreich mit einem gewissen Selbstgefühl betrachtete. Endlich gelang es, einen Mitarbeiter zu gewinnen, welcher in der Hauptsache nach denselben Gesichtspunkten die Zustände in Österreich beurteilte und der mit weit besserer Kenntnis der Personen und Verhältnisse meine Stelle ersetzen konnte.
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Anton Springer, der als junger Gelehrter zu Bonn seine erfolgreiche akademische Tätigkeit begonnen hatte, wurde mir durch Otto Jahn, seit die3er Professor in Bonn war, bekannt. Springer, dessen Gattin die Tochter eines treuen Gönners der „Grenzboten“ in Prag war, wurde mir bald ein zuverlässiger Freund, dem Blatt aber einer der zuverlässigsten und treuesten Mitarbeiter, nicht nur als Kunstschriftsteller auf dem Gebiet, welchem er wegen der seltenen Verbindung von gutem historischen Wissen mit edlem Schönheitssinn seine größten Erfolge verdankt, sondern fast noch mehr durch seine politischen Aufsätze.
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Die Bedeutung, welche der Verfasser der „Geschichte Östreichs“ als politischer Schriftsteller zu beanspruchen hat, ist gerade in Österreich nicht immer nach Gebühr gewürdigt worden, vielleicht deshalb, weil sein klares Urteil keiner der kämpfenden Parteien zustimmte. Wer aber wie ich durch eine Reihe von Jahren seinen Auffassungen gefolgt ist, darf eine innige Hochachtung vor der Sicherheit und Größe seines politischen Urteils emfinden und vor der Begabung eines Mannes, der in zwei grundverschiedenen Gebieten, in der Kunstwissenschaft und in der politischen Geschichte seines Vaterlandes heimisch ist.

Aus den Jahren, in denen der deutsche Bund wieder hergestellt wurde und die Deutschen unter unhaltbaren Staatsverhältnissen harrten und sorgten, bis zum Kriege zwischen Preußen und Österreich, ist nur Weniges aufgenommen, vorzugsweise solche Aufsätze, in denen Napoleon III. besprochen wird. Diese Aufsätze wurden gewählt, zunächst weil der Kaiser während dieser Zeit im Mittelpunkt des europäischen Interesses stand, außerdem aber, weil es sein Verhängnis wurde, daß ein unvergleichlich stärkerer und größerer Mann im Kampfe gegen ihn das Deutsche Reich schuf.

Die Aufsätze endlich aus dem Kriegsjahr 1870 sind zum Teil in Frankreich, zum größeren Teil nach der Heimkehr des Verfassers geschrieben. Sie mögen versuchen, die Stimmungen, welche in jener großen Zeit durch das deutsche Volk zogen, in Erinnerung zu bringen. Ausgeführter Schlachtenberichte habe ich mich damals und später mit Fug enthalten, auch die Beurteilung der kriegerischen Vorfälle ist in diesem Abdruck auf ein bescheidenes Maß zurückgeführt. Wir haben seither von den Sachkundigen bessere und reichlichere Auskunft erhalten, als ein Laie zu geben vermöchte.

Viele Aufregungen, Sorgen, Schmerzen und wieder hohe Freude und Begeisterung habe ich in dem Vierteljahrhundert durchlebt, in welchem ich die Zeilen dieses Bandes mit vielen anderen auf leichten Blättern durch das Land sendete. Es waren die höchsten Interessen meines Lebens, die ich dadurch zu vertreten suchte, es waren die mannhaftesten Gefühle, unter deren Herrschaft ich schrieb, wohl oder übel, wie ich es verstand. Und doch habe ich kaum jemals ein Buch drucken lassen, welchem so sehr das Wohlwollen meiner Leser nötig ist, als diese Betrachtungen aus vergangener Zeit, welche hier spät, nach vielen Jahren, zu einem Bande vereinigt werden.

G. F.

 

Entnommen aus: Gustav Freytag, Gesammelte Werke in 22 Bänden, Band 15, Seite V - VII, 2. Auflage; Leipzig, Hirzel 1897

Anmerkung: Der besseren Lesbarkeit wegen wurden einige Absätze eingefügt, die es im Original nicht gibt. Diese sind durch einen "." in der Leerzeile zu erkennen.

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