Wenn man allerlei Volk beobachtet hat, so ist die letzte Empfindung, daß die Menschen einander überall sehr ähnlich sind. (Band 5, Seite 172)

 

Cover: Soll und HabenZum Inhalt

Nachdem Anton Wohlfahrts Vater gestorben ist, macht er sich auf den Weg in die Provinzhauptstadt, um in der Handlung T. O. Schröter eine Kaufmannslehre zu beginnen. Am gleichen Tag wie er macht sich auch sein ehemaliger Schulkamerad Veitel Itzig auf diesen Weg um ebendiesen Beruf zu ergreifen; sein Ziel ist jedoch das Comptoir von Hirsch Ehrenthal. So verschieden die Herkunft, so verschieden wird sich auch der Lebensweg der beiden gestalten. Schicksalhaft für Anton wird unterwegs schon die Begegnung mit Lenore von Rothsattel.
Während Anton seinen Weg Richtung ehrbarer Kaufmann geht, bedient sich Veitel zusehends unehrlicherer Methoden, um seine Ziele - nämlich das Gut der Rothsattel für sich zu erwerben - zu verwirklichen. Daß sein Prinzipal Ehrenthal ein gleiches für seinen Sohn Bernhard vorhat, stört ihn dabei wenig. Als sich die Ereignisse beginnen zuzuspitzen, leiht Anton dem Sohn des Freiherrn einen größeren Betrag, um diesem aus einer Geldverlegenheit zu helfen. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf.

 

Vorbemerkung

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Kommentar / Meine Meinung

Schon alleine die Inhaltsangabe für dieses Buch, das in seiner Gesamtheit, je nach Ausgabe, etwa 900 Seiten umfaßt, ist nicht einfach. So findet nur ein kleiner Teil des Personals Erwähnung und es stellt sich die Frage, ob die Übrigen der Nennung nicht wert waren. Als da wären beispielsweise die Familie des Freiherrn, die Schwester des Herrn Traugott Schröter, Sabine, der Auflader Sturm und sein Sohn, oder aber gar der Herr Fritz von Fink, der von seinem Vater als Volontair ins Comptoir des Herrn Schröter geschickt wurde, damit er dort Beständigkeit und Arbeiten lerne.

Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit. So lautet das Motto, das Julian Schmidt, der Compagnon Freytags bei den Grenzboten, dem Buch voranstellte, und damit ist eines der Hauptthemen beschrieben. Machte Freytag in der später entstandenen „Verlorenen Handschrift“ die Welt der Gelehrten zum Gegenstand, so ist es hier die des Kaufmannsstandes. Wobei er anklingen läßt, daß sich die Welt im Umbruch befindet, denn das Handelshaus Schröter ist eines der letzten seiner Art.

„Was mein edler Fürst damals sprach: über die Verwirrung der letzten Jahre, über die Muthlosigkeit und müde Abspannung der Nation, und über den Beruf der Dichter, die gerade in solcher Zeit dem Volk einen Spiegel seiner Tüchtigkeit vorhalten sollen zur Freude und Erhebung - (...)“, so schreibt Freytag in seiner Widmung an Ernst II, Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha und gibt damit eine seiner Grundintentionen. Vielleicht war es, zumindest bis zu einem gewissen Grade, eben dieser Wunsch nach „Freude und Erhebung“, der „Soll und Haben“ zu einem der meistgelesenen Bücher des 19. Jahrhunderts machte. Seine Beliebtheit begann erst abzunehmen, als die beschriebene Welt in den Trümmern zweier Weltkriege endgültig untergegangen war.

Es ist ein Zeitraum von mehreren Jahren, der im Buch beschrieben wird. Anton ist um die 18 Jahre alt, als sein Vater stirbt und er sich auf den Weg in die Stadt macht. Schicksalhaft wird für ihn die Begegnung mit der etwa gleichaltrigen Lenore von Rothsattel, an deren Familiensitz er vorbeikommt. Zum ersten Mal gerät er in Kontakt mit höheren, mit adeligen, Kreisen, was einen unheilvollen Einfluß auf sein weiteres Leben haben wird.

Die Begegnung wird beobachtet von Veitel Itzig, einem früheren Schulkameraden Antons, der ebenfalls auf dem Weg in die Stadt ist, um dort sein Glück zu machen. Allerdings wird bereits bei dem Treffen der beiden unterwegs klar, daß sie auf verschiedenen Pfaden wandeln werden. Itzig, dem die Faszination Antons für die Rothsattel nicht verborgen geblieben ist, überlegt, wie man das Gut für sich selbst gewinnen könnte, Anton weist das von sich. So verschieden die Ansichten zu diesem Thema sind, so verschieden ist auch der Lebensweg der beiden. Während Anton den Beruf des ehrbaren Kaufmanns erlernt und immer tiefer darin verwächst, geht Veitel neben seiner Tätigkeit für Hirsch Ehrenthal bei dem abgehalfterten Advokaten Hippus in die Lehre, um von diesem jegliche Schliche, wie man das Gesetz umgehen bzw. für seine eigenen Zwecke benutzen kann, zu lernen. Wobei beide nicht davor zurückschrecken, die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten.

Buch wie Autor sind, das sei nicht verschwiegen, heutzutage etwas umstritten. 1977 sollte „Soll und Haben“ durch Rainer Werner Faßbinder verfilmt werden, nach erhobenen Antisemitismusvorwürfen wurde das Projekt fallengelassen. Inwieweit es sinnvoll und gerechtfertigt ist, ein Werk mit Maßstäben zu messen, die rund hundert Jahre und mehr nach Erstveröffentlichung erst Geltung erlangen, ist eine Frage, die ich hier nicht diskutieren will. Darüber muß sich jeder selbst klar werden.

Ich habe im Laufe der letzten Monate etliche Bücher aus dem 19. Jahrhundert gelesen; neben North And South von Elizabeth Gaskell sind es diejenigen Freytags, die mir die damalige Welt lebendig gemacht und nahe gebracht haben wie sonst keine, so daß ich das Gefühl hatte, mitten in der Handlung dabei zu sein. Obwohl ich das Buch zum wiederholten Male gelesen habe und die Handlung wie das Ende demgemäß kannte, habe ich dennoch [ bis aufs Äußerste gespannt mitgefiebert, wie die Kämpfe um Rosmin ausgehen würden, konnte es kaum erwarten, bis denn endlich der Entsatz kam. ]

Interessant und in gewisser Weise verwunderlich fand ich hier, wie schon in der „Verlorenen Handschrift“ die offene und deutliche Kritik am Adel, in einem Buch, welches einem Herzog gewidmet war. Mit dem war Freytag allerdings befreundet; er hatte ihm politisches Asyl gewährt, weil Freytag von Preußen wegen unliebsamer Äußerungen zum schlesischen Weberaufstand gesucht wurde.

„Soll und Haben“ zählt zur Gattung des Bildungsromans; die in Wikipedia gegebene Erläuterung läßt sich im Buch sehr schön nachvollziehen, etwas vereinfacht: der zunächst jugendliche Held wird über eine Reihe von Jahren begleitet und wächst in der Begegnung mit verschiedenen Umweltbedingungen. So ist es klar, daß wir Anton nicht nur in seiner Funktion als Angestellter der Handlung T. O. Schröter antreffen, sondern er [ diese im Laufe des Buches verläßt, um als Bevollmächtigter des Freiherrn von Rothsattel dessen Geschäfte zu führen. In der Schlußphase kommt es dann zum „Showdown“, um ein modernes Wort zu benutzen, mit seinem Widersacher Veitel Itzig. ] Daß sein Freund, der Herr von Fink, eine ähnliche Entwicklung durchmachen muß, so daß beide am Ende andere Menschen sind als zu Beginn des Buches, sei nur am Rande vermerkt. Fink ist eine schillernde Gestalt, über die man sich ärgern, oft aber mit und über sie lachen kann. Ich möchte ihn hier gar nicht weiter nachzeichnen, das konnte Freytag besser.

Überhaupt hat mir der Schreibstil Freytags außerordentlich gut gefallen. Handlungsgetriebene Teile wechseln ab mit nachdenklichen Abschnitten, und immer wieder blitzt ein verschmitzter Humor hervor, der mich bisweilen zum Lächeln, des öfteren zu laut Auflachen gebracht hat. Am Ende angelangt, war ich fast etwas traurig, die letzte Zeile gelesen zu haben. Heißt es doch, unwiderruflich Abschied zu nehmen von all den vertrauten Bekannten und Freunden, vom Gut der Rothsattels und der schon damals altmodischen Handlung von T. O. Schröter. Wenngleich es, und damit sei der Bogen in die Jetztzeit geschlagen, auch im 21. Jahrhundert durchaus nicht schaden würde, so manchen der ehrenhaften Grundsätze jenes angesehenen Handelshauses hoch zu halten und anzuwenden.

 

Kurzfassung

Der Waise Anton Wohlfahrt muß sich in der Welt des bürgerlichen Handelshauses wie auch dem Gut der Rothsattels bewähren, um seinen Platz im Leben zu finden. Ein klassischer Bildungsroman des bürgerlichen Realismus.

 

Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgaben

Gustav Freytag, Gesammelte Werke in 22 Bänden, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 2. Auflage 1896 - 1898;
Band 4: Erstes bis Drittes Buch, 575 Seiten
Band 5: Viertes bis Sechstes Buch, 404 Seiten

 

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